Thursday, October 12, 2006

Very brief - weniger Brief

Neulich erhielt ich folgende E-Mail:

Attachment
:-)
P.


Dieser E-Mail-Text (1) ist von einer geradezu unerhörten kargen Intensität. Der Absender verdichtet in seiner Kurz-, ja Kürzestprosa das Briefliche soweit, dass die Buchstaben der Sprache nunmehr als bildliches Element die Schriftlichkeit negieren. Das geschriebene Wort erleidet die Katharsis der Bildwerdung in Form eines filmischen Anhangs (hier "anonymisiert") und entblößt die Dinglichkeit, die sich allzuoft auch hinter dem Abstrakten verbirgt. Das Fehlen einer Anrede tritt hier mit dem Anspruch auf, von einer indivuellen Person absehen zu können und impliziert stattdessen eine universellen Adressatenschaft. Dabei tritt auch der Autor zurück. "P." ist gewissermaßen der Platzhalter für ein Individuum, das sich in den digitalen Wogen des World Wide Webs seiner Nicht-Einzigartigkeit bewusst geworden ist und dies dennoch mit einem ironischen, ambivalent zum Attachement wie zur Textkürze gewandten Lächeln kommentiert. Kurzum: Ein kleines, hochkomprimiertes Meisterwerk!

(1) Zu den speziellen sprachlichen Ausdrucksformen in E-Mails, vgl. die Ausführungen von Th. Schneeweiß im Kapitel "Die E-Post" in: Die Geschichte der Briefkunst

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